Du bist Arzt oder sogar Notarzt und wirst zu einem Kindernotfall gerufen? Jetzt musst du im Sekundentakt guidelinekonform reagieren, wenn du die Überlebenschancen des Kindes wahren willst. Wie du das machst, erfährst du in diesem Beitrag.
Kind liegt atemlos am Boden – du musst die Situation managen!
Das ist deine Situation: Ein Kind liegt atemlos und bewusstlos am Boden. Vielleicht wird es schon von Ersthelfern reanimiert, vielleicht bist du sogar der Erste vor Ort. Das ist egal: Du als Arzt bist gefordert und stehst doppelt unter Druck!
Erstens, weil auch für dich das Leben eines jungen Menschen auf dem Spiel steht. Du bist auch nur ein Mensch. Das belastet. Zweitens, weil von dir als Arzt extrem viel erwartet wird. Auf dir ruhen die Hoffnungen aller Angehörigen, Freunde und Umstehenden.
Doch wir wollen dir hier keine Angst machen. Wir wollen dir die Situation nur ehrlich bewusst machen und dich so gut wie möglich darauf vorbereiten. Denn du musst jetzt das Richtige tun.
Zeit zu denken, hast du fast keine. Du musst handeln. Richtig handeln! Guidelinekonform handeln!
Um genau das zu erreichen, musst du zweierlei tun:
- Du brauchst die entsprechenden Kenntnisse im Paediatric Advanced Life Support (kurz PALS). Die Grundlagen vermitteln wir dir hier. Wir müssen aber darauf hinweisen, dass wir in einem einzelnen Beitrag natürlich nicht alles abdecken können.
- Du musst deine Fähigkeiten trainieren. Nur, wenn du deine Theorie auch regelmäßig praktisch anwendest, gehen diese in das sprichwörtliche Fleisch und Blut über. Dann tust du intuitiv im Notfall genau das Richtige.
Wie du diese notwendigen Fertigkeiten erlernst und sie lebensecht trainieren kannst, das verraten wir dir am Ende dieses Beitrags. Jetzt aber zurück zu unserer Situation!
Schritt 1: Starte sofort den Basic Life Support und bereite den Paediatric Advanced Life Support vor
Bist du als Erster bei dem bewusstlosen Kind, dann prüfst du, ob es noch atmet. Tut es das nicht, dann startest du sofort mit der Herzdruckmassage, der Beatmung und schließt den Defibrillator an.
Wird das Kind bereits von Ersthelfern gut reanimiert, kannst du übernehmen oder inzwischen den Defibrillator anschließen und den Advanced Life Support vorbereiten.
Wichtig: Stelle in jedem Fall sicher, dass der Basic Life Support ohne Unterbrechung in guter Qualität weiter läuft. Am besten durch dein gut ausgebildetes Team.
Was ist der Advanced Life Support?
Unter Advanced Life Support versteht man alle Maßnahmen, die in der Notfallmedizin über die Beatmung, Herzdruckmassage und den Defibrillator-Einsatz hinaus gehen.
Das heißt: Du setzt nun Notfallmedikamente zur richtigen Zeit in der richtigen Dosierung ein. Du sicherst Atemwege und legst Zugänge über die Vene oder indem du den Knochen anbohrst.
Zudem machst du dir – vor allem bei einem Kindernotfall – darüber Gedanken, warum es überhaupt zur Reanimation kam. Du musst nämlich auch die reversiblen Ursachen therapieren, um das Kind retten zu können. Aber dazu Genaueres ein paar Zeilen später…
Schritt 2: Verabreiche Adrenalin, achte auf Timing und Dosis!
Über den Defi liest du das EKG und stellst schnell den Rhythmus des Kindes fest. Hier gibt es für dich 2 Möglichkeiten: 1. Asystolie oder 2. Kammerflimmern.
Ist das Kind asystol verabreichst du über den Zugang, den du sofort legst, so schnell wie möglich Adrenalin. Und zwar 10 µg pro Kilogramm Körpergewicht.
Ab nun blickst du alle 2 Minuten auf das EKG und analysierst dabei den Rhythmus. Bei Asystolie verabreichst Du alle 3-5 Minuten Adrenalin unter laufender Herzdruckmassage.
Stellt der Defibrillator ein Kammerflimmern fest, musst du deinen kleinen Patienten so schnell wie möglich defibrillieren. Im Idealfall mit 4 Joule pro Kilogramm Körpergewicht. Das kannst du allerdings nur bei einem manuellen „Defi“ einstellen.
Bei einem Halbautomaten gibt es oft eine Kindermodus-Taste. Diese solltest du drücken. Dann setzt das Gerät meist nur die halbe Stromstärke ab. Allerdings ist das bei Kleinkindern oft nicht ideal.
Wichtig: Auch wenn der Kindermodus nicht ideal ist. Gar keinen „Defi“ einzusetzen ist der größere Fehler. Es ist nachgewiesen, dass ein Erwachsenen-Defibrillator für Kinder besser ist, als keinen Defibrillator einzusetzen. Daher: Setze immer einen Defibrillator ein!
Bleibt das Kammerflimmern bestehen, gibt dir der Defibrillator alle 2 Minuten den Hinweis, dass du das Kind defibrillieren sollst. Befolge diese Anweisungen!
Nach dem zweiten Schock (nach AHA Guidlines) bist du allerdings wieder verstärkt gefragt. Nun solltest du deinem kleinen Notfallpatienten erneut Adrenalin geben (10 µg pro Kilogramm).
Und nach dem dritten Schock gibst du deinem Patienten einmalig Amiodaron (5 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht). Nach ERC Guidlines verabreichst Du jetzt auch Adrenalin (10 µg pro Kilogramm), anstatt wie bei den AHA Guidlines bereits nach dem 2. Schock.
Schritt 3: Ursache feststellen und bekämpfen
Im Paediatric Advanced Life Support musst du dir auch darüber Gedanken machen, warum das Kind gerade in solch kritischem Zustand vor dir liegt. Erkennst du die Ursache nicht, kannst du oft so lange reanimieren wie du willst, du kannst das Kind nicht erfolgreich wiederbeleben.
Um das an einem Beispiel festzumachen: Liegt die Ursache des Kindernotfalls bei deinem Patienten an einem Unterzucker, so musst du Glucose zuführen. Andernfalls wird dein Bemühen selbst bei der besten Reanimation mit Sicherheit zum Tod des Kindes führen.
Daher helfen wir dir in diesem Beitrag mit den drei häufigsten Ursachen und gehen danach mit dir die 4xH-Regel und die HITS-Regel durch.
Die häufigsten Ursachen für Kindernotfälle
- Hypoxie: Dies stellt die häufigste Ursache für einen Herzstillstand bei Kindern dar. Unter Hypoxie versteht man eine Mangelversorgung des Gewebes mit Sauerstoff. Ersticken oder Ertrinken sind die häufigsten Todesursachen bei Kindern.
- Hypovolämie: Bereits auf Platz 2 ist ein Volumenmangel schuld am kritischen Zustand des Kindes. Das heißt: Durch Blutverlust oder durch Dehydrierung hat das Kind entweder zu wenig Blut oder zu wenig Flüssigkeit im Körper.
- Hypoglykämie: Die dritthäufigste Ursache für einen Kindernotfall wird durch Unterzucker ausgelöst.
Wie erkennst du die Ursache? 5xH-Regel und HITS-Regel
Je nach Zustand des Kindes und situationsbedingter Wahrscheinlichkeiten arbeitest du dich bei einem Kindernotfall durch diese Regeln. Die Situation kann die Reihenfolge jedoch maßgeblich umkehren.
Bsp.: Liegt das Kind nach einem Unfall in einer Blutlacke, so solltest du zuerst eine Hypovolämie ausschließen, bevor du die anderen Regeln testest.
Die 5xH-Regel im Detail
1. H = Hypoxie
Du musst feststellen, ob du das Kind beatmen kannst. Das erkennst du daran, dass sich der Brustkorb hebt und senkt, wenn du beatmest. Passiert das nicht, sind die Atemwege vielleicht verlegt. (Differenzialdiagnose Bronchospasmus!)
Du musst die Ursache bekämpfen! Bei Kindern ist diesbezüglich alles möglich. Manchmal ist es ein verschluckter Legostein, oder das Kind hat eine Nuss in der Luftröhre stecken. Dein Problem: die Ursache ist oft unsichtbar und schwer zu finden. Hier kann die gute Anamnese mit einem Elternteil sinnvoll sein.
Kannst du die Blockade nicht entfernen (zum Beispiel den Legostein), dann musst du eine Intubation erwägen. Ziel wäre es in diesem Fall, die Nuss in den linken oder rechten Hauptbronchus zu schieben. Ziehe danach den Tubus etwas zurück. Im Idealfall kannst Du nun zumindest eine Lunge beatmen. Die Intubation eines Kindes sollte aber wenn möglich jemand mit Erfahrung durchführen, da diese nicht einfach ist.
2. H = Hypovolämie
Du musst feststellen wie lange die Rekapillarisierungszeit ist. Mit einem festen Druck auf den Handrücken oder der Stirn, kannst du das schnell testen. Dabei entsteht ein weißer Fleck auf der Haut. Verschwindet dieser wieder unter 2 Sekunden, liegt kein Volumenmangel vor.
Dauert die Rekapillarisierung länger, dann musst du Flüssigkeit zuführen. Die Guidelines empfehlen hier: 20 ml pro Kilogramm Körpergewicht.
3. H = Hypoglykämie
Du musst den Blutzucker messen! Liegt dieser im Normalbereich (70 bis 80 Milligramm/dl), ist das Kind nicht unterzuckert. Liegt der Blutzuckerwert aber unter 50 mg/dl, dann musst du sofort Glucose Infusionen verabreichen.
4. H = Hypothermie
Als Arzt hast du vielleicht schon einmal den Spruch „Nobody is dead, until she/he is warm and dead“ gehört. Das gilt auch im Paediatric Advanced Life Support.
Daher musst du die Temperatur messen. Ist das Kind zu kalt (spätestens bei 32 Grad Körpertemperatur neigt jeder Mensch zum Herzstillstand), so musst du deinen jungen Patienten wärmen. Heizdecken, Aludecken, Heizluftgebläse – jede Möglichkeit, die Wärme herbeiführen kann, ist dazu geeignet.
5. H = Hypokaliämie oder Hyperkaliämie
Das bedeutet, dass entweder zu wenig oder zu viel Kalium im Blut vorhanden ist. Allerdings muss ich dir bei dieser Regel dazu sagen, dass sie fast nie auf Kindernotfälle zutrifft. Daher solltest du dich erst mit den anderen Möglichkeiten bei einem Kindernotfall auseinandersetzen. Und damit Du Kalium messen kannst, brauchst du ein entsprechendes Gerät dazu. Dieses findet man meist nur innerklinisch.
Die HITS-Regel im Detail
H = Herzbeuteltamponade
Bei einer Herzbeuteltamponade ist Blut zwischen das Perikard (Herzbeutel) und das Myokard (Herzmuskel) geraten. Der Herzmuskel ist dadurch nicht mehr in der Lage, ausreichend gut zu kontrahieren.
Eine Herzbeuteltamponade kannst du nur mit Ultraschall ausschließen. Die technische Entwicklung macht es in naher Zukunft vermutlich möglich, dass bald jeder Notarztwagen mit Ultraschallgeräten ausgestattet sein wird. Derzeit ist das leider noch nicht der Fall.
Um dich mit dieser Unsicherheit aber etwas zu beruhigen, kann ich dir versichern, dass eine Herzbeuteltamponade extrem selten bei Kindernotfällen ist.
I = Intoxikation
Das bezeichnet eine Vergiftung und kommt immer wieder vor. Da Medikamente wie Bonbons oder Smarties aussehen, üben sie auf Kinder eine große Anziehung aus. Handelt es sich aber beispielsweise um die Betablocker des Großvaters und der Enkel ist 10 Stück, dann wird die Herzfrequenz maßgeblich gesenkt und du musst sofort handeln.
Zuerst solltest du in Erfahrung bringen, was das Kind geschluckt hat (Zeugen fragen!). Dann solltest du sofort die Vergiftungszentrale in Wien unter +43 1 40 64 343 oder in Berlin unter +49 30 19240 anrufen (Nummern am besten JETZT im Handy speichern!!!).
Dort teilst du dem Kollegen den Giftstoff mit und dieser kann sofort seine Datenbank befragen. Darin sind alle bekannten Giftstoffe gelistet und du erfährst, welches Medikament du in welcher Dosis als Gegenmittel einsetzen sollst.
T = Thrombose
Es gibt kardiale Thrombosen und pulmonale Thrombosen. Kardiale Thrombosen stellen bei Kindern eine Seltenheit dar. Pulmonale Thrombosen sind schon etwas häufiger. Die Pulmonalembolie wird auf deutsch als Lungeninfarkt bezeichnet. Dabei ist es so, dass Kinder scheinbar beatmet werden können (Brustkorb hebt und senkt sich), sie aber dennoch an Luftnot leiden. Das liegt daran, dass die Gefäße in der Lunge „zu“ (=blutlos) sind.
Um einen Lungeninfarkt festzustellen musst du das CO2 in der Ausatmung und im Blut messen. Normalerweise sollten die Werte ungefähr gleich sein (5mmHg Unterschied). Bei einer fulminanten Pulmonalembolie ist das CO2 in der Ausatemluft fast null und im Blut sehr hoch.
Dagegen kannst du relativ wenig vor Ort tun. Du musst deine Reanimation möglichst hochwertig beibehalten und deinen Patienten so schnell wie möglich in die nächste Klinik fahren. Worauf du bei deiner guidelinekonformen Herzmassage und Reanimation auf jeden Fall achten solltest, haben wir für dich hier noch einmal zusammengefasst: https://simulationcenters.com/diese-4-punkte-machen-eine-gute-herzdruckmassage-aus-teste-dich-selbst/
Wenn du es nicht schaffst, in kurzer Zeit die Klinik zu erreichen, sinken die Überlebenschancen deines kleinen Patienten dramatisch. Denn: Nur mit einer Herz-Lungen-Maschine kann bei dieser Ursache noch geholfen werden.
S = Spannungspneumothorax
Von einem Pneumothorax spricht man, wenn das Vakuum zwischen der Lunge und dem Lungenfell (Pleura) gestört wird. Dieses Vakuum sorgt nämlich dafür, dass die Lunge gedehnt und offen bleibt.
Dringt Luft in den Pleuraspalt ein, kollabiert die Lunge. Die Schmerzen sind für den Patienten meist sehr hoch. Zum Problem wird dieser Pneumotharax aber erst, wenn es zum Ventilmechanismus kommt. Dabei vergrößert sich der Pleuraspalt bei jedem Luftzug und schiebt die Lunge Richtung Herz. Das kann soweit gehen, dass das Kind dadurch einen Herzstillstand bekommt.
Deine Lösung: Wenn Du denkst, dass dein Kind unter einem Spannungspneumothorax leidet, dann musst du eine Thoraxdrainage legen, damit die Luft aus dem Pleuraspalt wieder entweichen kann und der Druck auf das Herz weniger wird! Beim Atemweg-Symposium kannst du als TeilnehmerIn diese Notfallmaßnahme an einem Tier-Kadaver unter Anleitung üben. (Zum Atemweg-Symposium hier klicken!)
Schritt 4: Unter Reanimation in die nächste Klinik
In Europa gilt das ungeschriebene Gesetz, dass man Kinder unter Reanimation immer so schnell wie möglich in die nächste Klinik bringt, um das Maximum an notfallmedizinischer Versorgung zu gewährleisten.
Im Gegensatz zu Erwachsenen werden Kinder auch – egal bei welcher Urasche – mindestens 1 bis 2 Stunden reanimiert.
Fazit: Mit Know-How und Training gewinnst du Sicherheit
Wir hoffen, dir in diesem Beitrag eine gute und anschauliche Einführung in den Paediatric Advanced Life Support gegeben zu haben. Und wir hoffen, dass du dein Wissen damit erweitern oder vielleicht auffrischen konntest.
Wie du jedoch an den Inhalten bestimmt sehen konntest, erfordert eine hohe Qualität im Management von Kindernotfällen nicht nur Know-How, sondern auch Übung.
VORSICHT: Jetzt kommt die Werbung 😉
Natürlich haben wir diesen Beitrag nicht ganz ohne Eigeninteresse gemacht. Wie es der Zufall so will bieten wir von Simulation.Tirol Paediatric Advanced Life Support-Kurse (PALS-Kurs) an. Dabei bieten wir dir lebensechtes Training am High-Tech-Simulator.
Wie bei einem realen Unfall kann unser Simulator, atmen, sprechen, blau anlaufen usw. Der High-Tech-Simulator reagiert auf deine Maßnahmen und Medikamenten-Verabreichungen wie ein echtes Kind. Du übst i.v. und i.o. Zugänge zu legen, eine gute Teamführung und richtiges Timing. Alle Trainer sind Fachärzte und erfahrene Kinder-Anästhesisten.
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