Beim wichtigsten Organ des Menschen – dem Herzen – kann man sich als Arzt keine Fehler erlauben. Neuste EKG-Geräte erleichtern zwar die Diagnose, allerdings sollte man Maschinen nie vollends vertrauen. Denn Fehlinterpretationen vom Computer können nach wie vor vorkommen.
Das 12-Kanal-EKG hilft dir als Arzt, indem es in 12 Ableitungen mögliche Erregunsleitungsstörungen anzeigt. Dabei liegt es an dir, diese auch zu erkennen und die richtige Diagnose zu stellen. Das Übersehen von Herzinfarkt-Anzeichen kann deinem Patienten das Leben kosten.
Wie du diesem hohen Druck als Arzt standhältst und die richtigen Schlüsse aus einem EKG ziehst, erfährst du im folgenden Beitrag.
Wir wollen an dieser Stelle mitgeben, dass unsere Kurzanleitung keinem EKG Buch gerecht werden kann. Es ging uns vor allem darum zu beschreiben, welche 9 Punkte am Notfallort sinnvoll sind, einen genauen Blick darauf zu werfen.

Technische Grundvoraussetzungen für ein korrektes 12-Kanal-EKG

Das Wichtigste zuerst: Für exakte Ergebnisse muss der Patient ruhig liegen bleiben. Zudem müssen die Elektroden gut am Patienten angebracht sein, auch ausgetrocknete Elektroden liefern keine sauberen Ableitungen.
Kleiner Ratschlag: Für ein 12-Kanal EKG brauchst du Zeit. Das Ganze braucht nämlich 3-4 Minuten Minimum. Wir sehen in unseren medizinischen Fortbildungskursen oft, dass Ärzte während einer Reanimation ein 12-EKG anlegen wollen – das geht natürlich nicht und macht während einer Reanimation gar keinen Sinn.
Im Idealfall sollte das 12-Kanal-EKG nun optimal angebracht sein und mit guter Qualität ableiten. Worauf es jetzt ankommt ist: die korrekte Auswertung.

In 9 Schritten zur richtigen Interpretation

12-Kanal-EKGs können auf den ersten Blick sehr verwirrend wirken. Wichtig ist, dass man nicht die gesamte Arbeit der Maschine überlässt. Denn auch bei technischen Interpretationsfehlern obliegt es dem Arzt, die richtigen Schlüsse zu ziehen.
Diese 9 Schritte helfen dir, zu erfahren, woran dein Patient leidet:

1. Ist das EKG-Bild rhythmisch oder arhythmisch?

Sind die QRS Komplexe regelmäßig? Wenn ja, dann ist dein EKG rhythmisch, wenn nein dann arhythmisch.
Zur Erinnerung: während der Einatmung deines Patienten wird das EKG etwas schneller, als wie es bei der Ausatmung der Fall ist. Das ist normal und absolut physiologisch.

2. Wie schnell ist die Herzfrequenz?

Die leichteste Methode um das zu messen, versetzt einen zurück in die Schulzeit: nimm ein EKG-Lineal und lese die Frequenz ab (siehe Abb. 1) Pass aber auf, ob es sich bei deinem EKG um einen 25mm / Sekunde oder 50mm / Sekunde Vorschub handelt!
Worauf du als Arzt hier achten musst ist, ob es sich um eine

  • normale Herzfrequenz handelt oder doch um eine
  • tachykarde oder bradykarde Herzrhythmusstörung handelt.

Mach dich noch heute mit deinem EKG Lineal vertraut. Oft musst du 3 RR Intervalle ansehen – wie in unserem Beispiel, damit du die korrekte Frequenz ablesen kannst.
ekg_lineal

3. Vorschub beachten 25mm vs. 50mm

Aufgepasst! Um keine falschen Messwerte zu erhalten ist es unerlässlich, das EKG-Gerät gut zu kennen. Dieses kann nämlich zwei verschiedene Papiervorschübe verwenden:

  • 25mm/sek. oder
  • 50mm/sek. (Hier hast du eine bessere Auflösung im EKG, verbrauchst aber doppelt soviel Papier für die selbe Anzahl QRS Komplexe.)

Der Vorschub des Papiers spielt natürlich eine große Rolle bei der Interpretation der EKG-Wellen. Denn wenn du 25mm pro Sekunde gewohnt bist und jetzt auf ein 50mm / Sekunde geschriebenes EKG siehst, dann könntest du schnell glauben, dass dein Patient ziemlich bradykard ist, was aber nicht stimmt. Das EKG ist „nur“ doppelt so weit auseinander gezogen beim 50mm Vorschub.
Am ausgedruckten EKG muss aber gottseidank immer drauf stehen, wie schnell es gedruckt wurde.

4. Um welchen Lagetyp handelt es sich?

Schon allein über diese Frage könnten wir stundenlang reden.
Hier also die kurze Antwort: Als Arzt musst du in diesem Schritt vor allem auf die Ausschlagrichtung der R-Zacken in den Ableitungen I, II und III achten. So kannst du erkennen, ob es sich z.B. um einen Rechtstyp handelt oder nicht. Falls ja, kann der Grund dafür möglicherweise eine Rechtsherzbelastung sein, die wiederum auf eine Lungenembolie hindeutet kann.
Falls du dich näher mit den Lagetypen und den dazugehörigen Krankheitsbildern beschäftigen möchtest, kannst du das in unserem EKG-Kurs einen Tag lang üben. Wir gehen ganz ausführlich auf die Lagetypen ein und auch wie du diese in Zukunft ganz leicht selber interpretieren kannst! https://simulationcenters.com/mediziner/ekg-kurs/

5. Fallen dir in den 12 Ableitungen grobe Auffälligkeiten auf?

Ein Beispiel:  Es könnten sich Extrasystolen zeigen. Beschreibe einfach hier ganz genau, was du siehst und wie oft du was siehst. In unserem Beispiel siehst du eine ventrikuläre Extrasystole (1 VES).
extrasystole

6. Folgt auf jede Vorhof-Erregung ein QRS Komplex?

Achte darauf, ob nach jeder P-Welle auch ein QRS-Komplex folgt.
Wenn die PQ Zeit zum Beispiel verlängert ist (> 200ms), dann spricht man von einem AV-Block ersten Grades.
Wenn die P Wellen unabhängig vom QRS Komplex sind, dann handelt es sich um einen AV Block dritten Grades.
Welche Arten von AV-Blockierungen es dabei geben kann und was sie dir als Arzt verraten, erfährst du in unserem EKG-Kurs. Dort trainierst du den ganzen Tag am Simulator und übst realitätsnahe Fälle: https://simulationcenters.com/mediziner/ekg-kurs/

7. Gibt es Ischämie-Zeichen?

Dafür wirfst du einen Blick auf die ST-Strecke und kontrollierst, ob es darin zu Hebungen oder auch Senkungen kommt. Auch können negative T für einen abgelaufenen Infarkt hindeuten. Wichtig ist für dich, dass ST-Streckenveränderungen auf mindestens 2 benachbarten Ableitungen zu sehen sein müssen.
Zur Erinnerung: Ischämie-Zeichen in folgenden Ableitungen deuten  auf folgenden Infarkt hin:

  • I und  aVL (= Seitenwandinfarkt)
  • II, III und aVF (= der häufigste Infarkt: Hinterwandinfarkt) oder in
  • V1-V6 (= Vorderwandinfarkt)

In unserem Beispiel siehst du einen Vorderwandinfarkt. ST-Steckenhebungen über V1-V6:
herzinfarkt
Achtung: die ESC hat vor kurzem die STEMI-Leitlinien geändert. Wir haben diese für dich in diesem Artikel zusammengefasst:
Neue Leitlinien der ESC für die Behandlung von STEMI Infarkt

8. Ist der QRS-Komplex verbreitert?

Grundsätzlich löst ein Blockbild eine Verbreitung des QRS-Komplexes aus. Dabei kann es sich entweder um einen

  • Linksschenkelblock (= z.B. zweigipfelige oder undeutliche R-Zacken in V6, Repolarisationsstörungen in V3, 4 und 5) oder
  • Rechtsschenkelblock (= breite S-Zacken in V6 und breiter QRS-Komplex in V1) handeln.

Es gibt auch inkomplette Blockbilder, die dem Profi vorbehalten sind.
Gut zu wissen: Für dich als Notfallmediziner ist wichtig, dass bei Vorliegen eines Blockbildes die Herzinfarktdiagnostik nicht mehr sicher zu beurteilen ist, da die ST-Strecke oft stark modifiziert ist.

9. Zu guter Letzt: kann eine Elektrolytstörung für ein abnormales EKG verantwortlich sein?

Elektrolytstörungen sind präklinisch leider sehr häufig aber oft nicht messbar. Daher musst du als Arzt hier auf dein Bauchgefühl hören.
Kleines Beispiel: Deine Patientin ist eine betagte Dame mit chronischer Niereninsuffizienz. Hier würde sich empfehlen, die T-Wellen zu beobachten. Bei hohen und spitzen T Wellen solltest du zumindest den Verdacht einer Hyperkaliämie äußern.

Den Leitfaden fandest du gut, willst aber das 12-Kanal-EKG in der Praxis üben?

Wie du in diesem Beitrag gesehen hast, gibt es bei der Auswertung eines 12-Kanal-EKG viel zu beachten. Damit solltest du als Arzt nicht leichtfertig umgehen. Das Herz ist ein sehr komplexes Organ, bei dem man auf die kleinsten Anzeichen achten und reagieren muss.
Wenn du ein 12-Kanal-EKG falsch beurteilst, gefährdest du das Leben deines Patienten.
Jeder Mediziner steht daher unter enormen Druck, gerade wenn man nicht täglich mit EKG-Befundung zu tun hat.
Willst du die Interpretation eines 12-Kanal-EKGs ausgiebig üben, empfehlen wir dir unseren 8 stündigen EKG-Kurs.
Folge dazu einfach dem folgenden Link oder klicke auf den roten Button: https://simulationcenters.com/mediziner/ekg-kurs/
Ja, ich will 12-Kanal-EKGs richtig interpretieren üben!
Fotos: © Denis Pepind – Fotolia.com (Beitragsbild)