Wenn man an die klassischen Notarzteinsätze denkt, fallen einem zu aller erst wahrscheinlich traumatische- bzw. kardiovaskulären-Notfälle ein. Oft werden dabei die psychiatrischen Alarmierungen vernachlässigt – und das obwohl die Prävalenz eines solchen Notfalles, je nach Untersuchung zwischen 10 und 60 Prozent liegt. Ein Großteil dieser Notfälle wird zudem nicht primär von psychiatrisch ausgebildetem medizinischem Personal behandelt, sondern viel mehr von Notaufnahmen, Notärzten, Hausarztpraxen und Rettungsdiensten. Daher wird es umso wichtiger, dass auch Du als Arzt mit solchen Situationen umgehen lernst. In Folgendem wollen wir dir einen Überblick über die wichtigsten psychiatrischen Notfälle geben.
Grundlagen der psychiatrischen Therapie
Zu aller erst sollte man sich als behandelnder Arzt mit der aktuellen Gesetzeslage in seinem Bundesland vertraut machen. Dies ist notwendig, da es speziell bei psychischen Erkrankungen, auch zu freiheitsberaubenden Interventionen kommen kann. Diese können zum Beispiel einen Zwangsaufenthalt in einer geschlossenen psychiatrischen Station beinhalten, sollte der Patient selbst- oder fremdgefährdendes Potential aufweisen. Auch kann es passieren, dass man auf die Hilfe von Polizei oder Feuerwehr zurückgreifen muss.
Hat man seine eigene Sicherheit garantiert, so geht es nun darum, Kontakt mit dem Patienten aufzunehmen. Grundsätzlich empfiehlt es sich, das Gespräch so strukturiert als möglich zu gestalten. Dies hilft einerseits dem Patienten und andererseits bei der Diagnosestellung. Versuche das Gespräch so empathisch, vertrauenswürdig und freundlich zu führen wie möglich!
Was willst Du mit dem Gespräch erreichen?
• Leidet dein Patient unter Angst- oder Erregungszuständen, so willst du ihn damit beruhigen und die Situation deeskalieren.
• Ist dein Patient paranoid oder hat Wahnvorstellungen, so musst du versuchen zu ihm vorzudringen und sein Vertrauen zu gewinnen.
• Hat dein Patient suizidale Absichten, gilt es das Schlimmste zu verhindern.
• Falls es der Gesundheitszustand des Patienten zulässt, kannst du auch anamnestisch versuchen, eine mögliche Diagnose zu stellen – oft musst du dafür allerdings auf eine Fremdanamnese zurückgreifen.
Was sind die häufigsten psychiatrischen Notfälle?
#1 Angststörungen
Unter den Angststörungen werden alle psychiatrischen Notfälle zusammengefasst, die als Leitsymptom, eine übertriebene, der Situation nicht angemessenen oder viel zu lange andauernden Angstreaktion aufweisen.
Angst an sich ist ein Affekt der uns als natürlichen Schutz dienen soll. Neben der psychischen Komponente der Angst, geht diese auch immer mit einer „fight-or-flight“ Reaktion einher. Es kann also zu Herzklopfen, Dyspnoe, Schwindel, Schweißausbrüchen oder Benommenheit kommen. Um all diese Symptome von einer körperlichen Erkrankung zu unterscheiden, wird vor jeder psychiatrischen Diagnose ein Ausschluss aller physischen Differentialdiagnosen notwendig sein.
Angststörungen kann man in mehrere Kategorien einteilen
Unter dem Begriff der Angststörung, lassen sich nun noch verschiedene Kategorien unterscheiden. Darunter findet man die,
• Phobie – also die Angst vor einem speziellen Ding, einem Ort oder einer Situation
• Panikstörungen – hierbei handelt es sich um schwere, plötzlich auftretende impulsive Angst- und Panikzustände, die nicht auf spezielle Auslöser zurück zu führen sind. Das macht sie unvorhersehbar.
• Generalisierte Angstzustände – darunter versteht man ebenfalls einen Angstzustand, der nicht auf spezielle Auslöser zurück zu führen ist. Oft wissen die Betroffenen auch selber nicht genau, wovor sie Angst haben.
Die Behandlung von Angststörungen
Die Behandlung von Angstzuständen ist ein langwieriger und teils oft schwieriger Prozess. Hier werden die wichtigsten Therapieansätze kurz besprochen:
• Verhaltenstherapie – hierbei wird der angstauslösende Faktor langsam und unter kontrollierten Bedingungen immer wieder aufgesucht. Ziel ist es, seine Angstassoziationen abzulegen und den auslösenden Faktor wieder in das Alltagsleben zu integrieren
• Tiefenpsychologie – Oft sind Ängste auf innere Konflikte zurück zu führen. Diese gilt es in der Tiefenpsychologie zu lösen.
• Entspannungstherapie – Angstzustände sind für die Betroffenen oft massive Belastungen. Mithilfe einer Entspannungstherpie versucht man diese Belastungen unter Kontrolle zu halten.
• Medikamentöse Möglichkeiten – in der Pharmakotherapie werden vor allem SSRIs (Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer), SNRIs (Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer) sowie Benzodiazepine als Anxiolytika verwendet.
#2 Suizidalität
Die Suizidalität ist keine eigenständige Erkrankung, sondern viel mehr ein Symptom, des zugrundeliegenden Problems. Betroffene Personen sehen keinen anderen Ausweg aus ihrer Situation als die Selbsttötung. Ein Neuanfang oder eine Therapie ist nicht vorstellbar. Trotzdem sind die meisten suizidalen Patienten zwiegespalten zwischen dem Wunsch zu sterben und dem natürlichen Überlebensinstinkt, oder der Angst vor starken Schmerzen.
Die Diagnose ist mittels psychologischem Gespräch zu stellen. Es wird die akute Suizidalität von einer graduellen Abstufung suizidaler Gedanken, konkreten Plänen oder einer konkreten Vorbereitung abgegrenzt.
Zur Diagnosestellung greift man oft auf Fragebögen oder Scores zurück. Therapeutisch gilt es in der akuten Situation das „schlimmste“ zu Verhindern. Anschließend ist eine ausführliche psychotherapeutische Behandlung unbedingt notwendig.
Es wird versucht die persönlichen Gründe ausfindig zu machen und diese wenn möglich zu beheben. Außerdem unterzieht man die Patienten oft einer Motivationstherapie, welche sie an alte Lebensgründe erinnern bzw. neue Gründe zu Leben schaffen soll. Ist die Suizidalität ein Symptom einer Grunderkrankung, gibt es natürlich diese zu beheben.
#3 Abhängigkeitserkrankungen und Entzug
Besteht eine Abhängigkeit zu einer bestimmten Sache (zB.: Medikamente, Drogen, etc.) so können sich neben körperlichen Symptomen vor allem auch psychiatrische Symptome entwickeln.
Diese werden insbesondere prominent, sobald ein Entzug beginnt. Die jeweilige Intensität der Symptome ist dabei vom Schweregrad der Sucht, von der Dosis des Suchtmittels, sowie von der Suchtdauer abhängig.
Um einen Entzug für die betroffenen möglich zu machen, ist es oft notwendig die jeweilige Substanz entsprechend zu substituieren. Während es in einer Notfallsituation vor allem darum geht, die Suchterkrankung zu erkennen, so ist die darauffolgende Therapie ein sehr viel längeres und schwierigeres Unterfangen.
Was muss ich nun bei psychiatrischen Notfällen beachten?
Psychiatrische Notfälle sind meist sehr verschieden und erfordern oft viel Erfahrung und Können. Leider werden vor allem diese Notfallsituationen oft vernachlässigt und zu wenig geübt. Speziell hier ist es, allerdings umso wichtiger eine klare Struktur und Sicherheit zu haben. Wenn auch du das Gefühl hast, dass regelmäßiges, praktisches Training mehr Sicherheit bringt, dann besuche und unsere ACLS-Trainings.
Take home messages:
• Achte auf die Sicherheit deines Patienten – und auch auf deine eigene!
• Versuche die Situation in einem Gespräch zu deeskalieren. Gewinne das Vertrauen deines Patienten.
• Schließe körperliche Differentialdiagnosen aus, bevor du mit der Therapie einer psychischen Erkrankung beginnst.
Ja, ich bin an einem ACLS Training interessiert.
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